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Heimatmuseum im 21. Jahrhundert

Elena Caniova, Fritzi Jarmatz, Gabriela Kapfer, René Reichelt, Sandra Stark

Museen, die sich mit der Geschichte einer kleinen Stadt oder eines Dorfes befassen, heißen in Deutschland »Heimatmuseum« oder gar »Heimatstube«. Dass sie existieren und geöffnet sind, verdanken sie oft der Initiative von Enthusiasten.

Heimatmuseen können veranschaulichen, wie sich das Weltgeschehen im Lokalen niederschlägt: Wie wurde Allmende genutzt ? Was bedeuteten die ersten Textilfabriken für die ansässigen Weber? Was bedeutete der Aufstieg Chinas für die hiesigen Textilfabriken? Wie viele Zwangsarbeiter arbeiteten hier ? Wie viele Flüchtlinge kamen nach 1945 – und wie viele kommen heute? Gerade in Regionen mit hohem Transformationsdruck könnten Heimatmuseen wichtig sein: zur Selbstvergewisserung, zur Ermutigung, zur Entwicklung neuer Ideen. Leider gelingt ihnen dies nur selten. Einheimische kommen, wenn überhaupt, oft nur einmal – warum zweimal ansehen, was sie schon kennen? Und weshalb sollten Touristen vorbeischauen, wenn ein Heimatmuseum dem Heimatmuseum im Nachbarort gleicht? Ausstellungen in Heimatmuseen sind geprägt von der Freude am Sammeln – nicht von Strategien der Vermittlung.

Wir haben uns mit Heimatmuseen und Heimatstuben im Oderbruch beschäftigt. Das Oderbruch ist eine fruchtbare Niederung, die sich etwa achtzig Kilometer östlich von Berlin entlang der Oder erstreckt. Es entstand im 18. Jahrhundert, als das Überschwemmungsgebiet des Flusses durch den preußischen Staat eingedeicht und von Wirtschafts- und Religions­flüchtlingen in Ackerland verwandelt wurde.

Heute ist die Gegend Schauplatz eines fortgesetzten »Strukturwandels«, der mit Abwanderung und Überalterung einhergeht. Trotzdem ist das Oderbruch ein populäres Ausflugsziel für Berliner Tagestouristen und Radwanderer. Auch das Kulturangebot ist erstaunlich dicht – neben dem Freilichtmuseum Altranft und dem Oderlandmuseum Bad Freienwalde gibt es ein gutes Dutzend kleiner und kleinster Museen.

Wollup Eines dieser Heimatmuseen be­find­et sich auf dem Land der ehemaligen königlich-preußischen Domäne Wollup, rund neunzig Kilometer östlich von Berlin. Begründet wurde die Heimatstube 1996. Anlass war der 500. Jahrestag der ersten Erwähnung Wollups. Damals wie heute betreut Ruth Schwetschke die Ausstellung – ehrenamtlich. Sie wohnt seit den 1930er Jahren in Wollup.

Der Großteil der gesammelten Artefakte wird auf den drei Etagen eines Speichergebäudes gezeigt. Ein weiterer Teil des Heimatmuseums befindet sich im Gärtnerhaus am Rande des Gutsparks. Das 1838 errichtete Fachwerkgebäude ist das älteste erhaltene Landarbeiterhaus in Wollup und veranschaulicht die Wohnverhältnisse dieser sozialen Schicht zu Beginn des 19.  Jahrhunderts. Regelmäßige­ Öffnungszeiten gibt es nicht. Besucher werden nach Bedarf und Voranmeldung von Frau Schwetschke empfangen.

Prozess Für eine Ausstellungsgestaltung, die von allen Beteiligten verstanden, angenommen und umgesetzt wird, braucht es eine 360°-Perspektive. Es geht darum, lokal vorhandene Gegebenheiten optimal zu nutzen, um die Skalierbarkeit eines Vorschlags sicherzustellen. Dabei spielen etwa Raumverhältnisse, verfügbare Infrastruktur, Lage und personelle Ressourcen eine wichtige Rolle. Indem wir uns zunächst an die Renovierung des Gärtnerhauses machten, bekamen wir schnell ein realistisches Bild von den Möglichkeiten und Grenzen des Ausstellungsraumes. Wir stellten fest, dass aufgrund der großen Feuchte im Haus und der unzureichenden elektrischen Leitungen nur eine analoge Ausstellungsgestaltung in Frage kam. Danach stand die Auseinandersetzung mit der vorhandenen Sammlung auf dem Plan. Ausführliche Gespräche mit den Wollupern bei Kaffee, Kuchen, gegrilltem Gemüse und selbstgebranntem Brombeerschnaps zeigten: Die Gegenstände der Sammlung werden nur durch die persönlichen Erzählungen lebendig. Wir brauchten einen Entwurf, der die Stimmen der Wolluper in die Ausstellung integriert. Wir definierten gemeinsam Zeiträume und Themen, die wir als Eckpunkte der Ortsgeschichte verstanden. Jeder dieser Eckpunkte sollte mit einem – wirklich nur einem – Objekt der Sammlung beschrieben werden. Wir ermutigten die Wolluper, solche Objekte auszusuchen und zu ihnen eine Geschichte zu erzählen.

Lösung Wir begreifen die Heimatmuseen des Oderbruchs als Teile eines dezentralen Museums. Einige Museen haben ein klares Profil – wie das Korbmuseum in Buschdorf. Andere, wie die Heimatstube Wollup, müssen eines entwickeln. Dort wird der Fokus künftig auf der Entwicklung der industriellen Landwirtschaft und deren sozialen Folgen liegen. Die Ausstellung wird deshalb auch auf das Museum in Möglin verweisen, das dem Landwirtschaftsreformer Albrecht Daniel Thaer gewidmet ist.

Durch Profilierung und Verknüpfung soll so ein »Museen-Hopping« durch die Region möglich werden – für Touristen ein attraktives Angebot. Dazu muss in der Region ein Leitsystem entwickelt werden, das die Museen sichtbar macht.Noch wichtiger aber scheint es uns, auch Einheimischen einen Grund zu geben, regelmäßig in den Heimatmuseen vorbeizusehen. Sonderausstellungen können ein solcher Anlass sein. Die kleinsten Museen des Oderbruchs – wie das Fontanehaus in Schiffmühle oder das Heimatmuseum in Neulewin – verfügen über je zwei Stuben (mit einer Fläche von etwa fünfzehn bis zwanzig Quadratmetern) und zwei Kammern (mit acht bis zehn Quadratmetern). Es böte sich also an, jeweils eine Stube mit wechselnden Ausstellungen zu bespielen.

Wohin aber mit den dort ursprünglich ausgestellten Gegenständen ? Die meisten Heimatstuben zeigen eine überbordende Fülle von historischem Hausrat. Zwanzig Bügeleisen eignen sich aber nicht, die soziale Wirklichkeit im Oderbruch zu schildern. Auch als ästhetisches Erlebnis sind sie neben zwanzig Sauerkrauttöpfen und zwanzig Rübenspaten kaum wahrnehmbar. Wir schlagen deshalb vor, im Museum Altranft ein zentrales Depot aufzubauen. Dort können die Artefakte konservatorisch optimal betreut und erforscht werden. Sie stünden für Ausstellungen in Altranft oder für Sonderausstellungen in den Heimatmuseen zur Verfügung.

Gestaltung Wenn wir die Heimatmuseen des Oderbruchs als Teil eines vernetzten Museums gestalten und die Ausstellungen in Bewegung bringen wollen, braucht es ein Ausstellungssystem, das dazu geeignet ist. Eine Person muss es leicht bewegen und arrangieren können.

Wir haben ein System aus einfachen Würfeln entwickelt. Sie bestehen aus Vierkantstahl, einem billigen und robusten Material. Sie sind nicht brennbar, variabel, wirken neutral und erlauben vielfältige Ausstellungsarchitekturen. Im Oderbruch, wo Zeit und Arbeitskraft reichlich vorhanden sind, bestünde sogar die Möglichkeit, sie von handwerklich geschickten Laien bauen zu lassen.

Zwei bis drei Würfel bilden jeweils ein Ausstellungsmodul. Ein Modul beinhaltet einen historischen Gegenstand. Dieser wird in zwei Texten eingeordnet. Zum einen erzählt ein Bewohner des Ortes in seinen eigenen Worten eine Geschichte, in der der Gegenstand eine Rolle spielt. So können wir anhand von Schlittschuhen etwas über das Verhältnis von der »Herrschaft« zu den Kindern der Gutsarbeiter erzählen. Oder mit einer Kaffeemühle die Not nach 1945 veranschaulichen. Ein weiterer Text erläutert den historischen Kontext – zum Bei­spiel das Kriegsende 1945 und den Grund, warum die meisten Mühlen im Oderbruch zerstört waren.

So entwickeln wir, ausgehend von konkreten Gegenständen, eine dichte, lokale Überlieferung, die jederzeit ergänzt oder für Sonderausstellungen neu arrangiert werden kann. Die Geschichte der Kaffeemühle könnte dann in ganz verschiedenen Ausstellungen auftauchen – in einer über das Kriegsende ebenso wie in einer über »Kolonialwaren« wie Tee, Kaffee und Tabak.

Umsetzung Anfang September 2015 haben wir unseren Entwurf in der Heimatstube Wollup umgesetzt und beim alljährlichen Parkfest des Dorfes eröffnet. Als Prototyp wurde er gleichzeitig im Museum Altranft präsentiert. Der Entwurf eignet sich, um mit den vorhandenen Sammlungen und den Menschen vor Ort interessante Geschichte zu erzählen – gerade im Oderbruch, direkt an der deutsch-polnischen Grenze. Er wird nicht unwidersprochen bleiben – denn der Begriff »Heimatstube« ist für ein Museum, dass sich derart öffnet, vermutlich zu eng.

 

Facts

Research Topic
Lernwelten gestalten: Gestaltungsort Schule

Project Type
Teaching Course Studio Practice

Designer(s)
  • Elena Caniova, Fritzi Jarmatz, Gabriela Kapfer, René Reichelt, Sandra Stark

Supervision by
  • Prof. Steffen Schuhmann

2015